In der frühen Geschichte des modernen e-Sports, also ab Mitte der 1990er Jahre, standen vor allem die USA und etwas später Südkorea im Fokus des globalen e-Sports. In den USA hat der Shooter-Spieler Johnathan Wendel, besser bekannt unter seinem Nicknamen Fatal1ty, den e-Sports auf ein neues Niveau gehoben, während in Südkorea vor allem das Echtzeitstrategiespiel Starcraft eine ganze e-Sports Industrie um sich herum aufbauen konnte. China hatten die wenigsten auf dem Zettel, vor allem im Hinblick auf historische Aspekte.
Die frühen Jahre im Reich der Mitte
In China erkannte man bereits sehr frühzeitig das Potenzial vom e-Sports. Vor allem auf Spielerebene finden sich in der e-Sports Geschichte vielerlei Größen, die in ihren jeweiligen Spielen zu den Besten gehörten. Der US-Amerikaner Fatal1ty war zwar der erste Weltstar des e-Sports, aber auch er musste erkennen, dass es in China hervorragende e-Sportler gibt. 2004 fand in China das nach ihm benannte „ACON Fatal1ty Shootout“-Turnier statt, bei dem es für damalige Verhältnisse um unglaubliche 125.000 US$ Preisgeld ging. Hier unterlag der als fast unbezwingbar geltende US-Amerikaner dem jungen chinesischen Talent Meng „RocketBoy“ Yang – und das nicht irgendwie, sondern mit einer niederschmetternden 4:26 Niederlage. Auch in Counter-Strike konnte China bereits früh auf sich aufmerksam machen, gehörte aber nie zu den Spitzennationen in dieser Disziplin, in der vor allem europäische Länder eine Vormachtstellung innehatten.
Wenn man sich den frühen e-Sports in China anschauen möchte, ist aber eher ein Blick auf Strategiespiele interessant, denn jener auf Shooter. Das erste wichtige Echtzeitstrategiespiel (RTS) auf e-Sports Ebene war Starcraft, das zu einem gewissen Grad bis heute Relevanz hat. Die alles dominierende Nation in Starcraft ist stets Südkorea gewesen. Spieler aus Südkorea haben über 54mal so viel Preisgeld gewonnen, wie Spieler des Zweitplatzierten Landes, namentlich China. Was den Chinesen hier nicht gelungen ist, nämlich die südkoreanische Dominanz zu durchbrechen, sollte ihnen in dem 2002 erschienen RTS-Toptitel Warcraft 3 aber gelingen. Hier liegt China in Summe beim Preisgeld zwar auch hinter Südkorea, aber nur mit einem geringen Rückstand. Unter den zehn erfolgreichsten Warcraft 3 Spielern aller Zeiten befinden sich vier Chinesen und damit genauso viele wie südkoreanische Spieler. Die chinesischen Superstars des Spiels sind Huang „TH000“ Xiang, Wang „Infi“ Xu Wen und Li „Sky“ Xiaofeng, von denen vor allem Letzter im frühen e-Sports zeitweise als einer der drei besten Spieler der Welt gegolten hat, hinter dem Niederländer Manuel „Grubby“ Schenkhuizen und dem Südkoreaner Jang „Moon“ Jae Ho.
Durchbruch und Status Quo
Ab Oktober 2009 verhalf das Spiel League of Legends (LoL) dem bis dahin eher unbekannten RTS-Untergenre der Multiplayer Online Battle Arena (MOBA) Games zum Durchbruch. Zuvor waren MOBAs vor allem nur durch DotA, eine Modifikation des Spiels Warcraft 3, bekannt. Mit LoL begann der Weg des MOBA-Genres zur bis heute wichtigsten und erfolgreichsten e-Sports Kategorie.
Bei den Weltmeisterschaften der dritten LoL-Season im Jahre 2013 konnte ein überwiegend aus chinesischen Spielern bestehendes Team die Silbermedaille gewinnen, im Jahr 2014 konnte man diesen Erfolg gar wiederholen. Besonders spannend an LoL ist im e-Sports, dass die eigentlich konkurrierenden Nationen Südkorea und China hier häufig Mixed-Teams stellen. Mit Invictus Gaming konnte ein solches Team den LoL-Thron besteigen und die Weltmeisterschaft 2018 gewinnen – und damit das bisher höchste Preisgeld in diesem Spiel abräumen. Dennoch bleibt auch bei LoL festzuhalten, dass Südkorea vor China liegt. Südkoreanische Spieler konnten mehr als doppelt soviel Preisgeld gewinnen wie ihre Kollegen aus China.

League of Legends
Wenn man nur das Preisgeld als Indikator nimmt, dann ist der mit Abstand wichtigste e- Sports Titel Dota 2. Dies begründet sich vor allem durch das Turnier „The International“, bei dem jährlich neue Preisgeld-Rekorde aufgestellt werden. Für das Jahr 2019 wird ein Preisgeld-Pool von mehr als 30 Millionen US$ erwartet. Insgesamt konnten Teams, die komplett oder überwiegend aus chinesischen e-Sportlern bestanden haben, dreimal Gold, fünfmal Silber und dreimal Bronze bei diesem Turnier gewinnen. Noch eindrucksvoller ist eine Übersicht über das insgesamt in Dota 2 errungene Preisgeld nach Ländern: China steht hier mit mehr als 57 Millionen US$ klar auf Platz 1, gefolgt von den USA mit knapp 12,5 Millionen US$. Was China also in anderen großen Spielen nicht gelungen ist, konnte man in Dota 2 endlich vorweisen: Die beste e-Sports Nation der Welt zu sein.
e-Sports in China auf dem Vormarsch
Mit Organisationen wie Newbee, LGD Gaming, Invictus Gaming, TyLoo und World Elite verfügt China darüber hinaus über eine hervorragende Clan-Landschaft, die weltweit zu den besten zählt.
Der chinesische Markt ist aber nicht nur aufgrund seiner Spieler, Clans und Erfolge interessant. In Sachen infrastruktureller Entwicklung ist das Reich der Mitte deutlich auf dem Vormarsch. In der Metropole Hangzhou ist für über 250 Millionen Euro eine eigene kleine e-Sports Stadt entstanden, samt Infrastruktur. Insgesamt ist geplant noch weitere zwei Milliarden Euro in das Projekt zu stecken, um beispielsweise Hotels und einen Freizeitpark zu errichten. Aber nicht nur Hangzhou ist hier in Aufbruchstimmung, sondern überall im Land entstehen Arenen, Trainingsstätten, Hotels und andere Einrichtungen.
e-Sports ist in China nicht nur als Berufsbild anerkannt, sondern man kann dort bereits sehr ganzheitlich in diesem Bereich studieren. Die werdenden e-Sportler lernen dabei alles Wichtige über den Sport und werden an Maus und Tastatur ausgebildet, um Pro Gamer zu werden. Gleichzeitig erlernen sie einen Beruf in der IT-Branche. So haben auch Studenten ein abgeschlossenes Studium, die es mangels Talent, Ehrgeiz oder körperlicher Gesundheit nicht auf die große e-Sports Bühne geschafft haben.
Mit dem Internet-Unternehmen Tencent hat der inzwischen größte Spielerhersteller der Welt seinen Sitz in China. Der Konzern investiert bereits umfassend und an vielen Stellen in Infrastrukturprojekte für den e-Sports.
China ist aber auch spannend, weil es an vielen Stellen anders funktioniert als westliche Länder. So ist etwa der Counter-Strike-Klon CrossFire ein in China sehr beliebtes Videospiel und zählt dadurch zu den meist gespielten Games der Welt, während es im Westen im Vergleich quasi gar nicht stattfindet. Auch im e-Sports ist China das mit Abstand erfolgreichste Land in CrossFire. Ebenso unterscheiden sich die Plattformen in ihrer Relevanz stark von Europa oder den USA. So spielen in Fernost immer mehr mobile Geräte eine wichtige Rolle beim Thema Gaming im Allgemeinen, aber auch beim e-Sports im Speziellen.
Vielversprechende Aussichten
Es ist äußerst wahrscheinlich, dass China in Zukunft zur dominierenden e-Sports Nation werden wird, was es in Teilen bereits jetzt ist. Noch sehe ich Südkorea in Sachen Infrastruktur, Anerkennung und gesellschaftlicher Wahrnehmung leicht vorne, aber schon aufgrund der massiven Investitionen Chinas in den e-Sports wird sich dies in naher Zukunft ändern. Die USA und Europa hat China als e-Sports Standort bereits deutlich überholt, zwar nicht unbedingt im direkten Erfolg, wenn es um den Gewinn von Wettbewerben geht. Hier unterscheidet es sich von Disziplin zu Disziplin und von Genre zu Genre. Aber in Sachen Anerkennung, Förderung, Infrastruktur, Bildung und politischer Wahrnehmung ist China den Europäern und den Nordamerikanern bereits um Längen voraus. Während man in Deutschland noch darüber diskutiert, ob e-Sports überhaupt umfassend gefördert werden sollte, baut man in China eine Einrichtung nach der anderen.
Wenn die Entwicklung bleibt wie sie ist, dann wird es in Zukunft heißen: China, das e- Sports Mekka schlechthin.