Auf dem Spielemarkt ist seit einiger Zeit ein neuer Trend zu beobachten. Neben dem Revival alter Klassiker aus der Anfangszeit der Spielekonsolen werden immer mehr analoge Brettspiele als digitale Variante aufgelegt. Die Hersteller der „Hardwareversion“ versuchen so, ein ganz anderes Publikum zu erreichen und ihr Marktpotential auszubauen. Die digitalen Geräte erlauben neue Möglichkeiten und können das Spielerlebnis dabei auch entscheidend verändern. Wir haben die Entwicklung in diesem Bereich einmal genauer unter die Lupe genommen.
Der Schachcomputer war nur der Anfang. Inzwischen gibt es zu einer Vielzahl an bekannten Brettspielen den entsprechenden digitalen Ableger. Über die Online-Funktion kann auch hier gemeinsam mit anderen gezockt werden. Diente ein Brett- oder Gesellschaftsspiel früher dem Zusammenkommen und besaß eine ganz klare soziale Komponente, spielt sich dies nun in der virtuellen Welt ab. Gerade hier zeigen sich wohl die deutlichsten Unterschiede.
Seit es digitale Spiele gibt, hat sich die Branche kontinuierlich weiterentwickelt oder war verschiedenen Moden unterworfen. Die jeweiligen technischen Möglichkeiten gaben dabei den Rahmen des Möglichen vor, der mal mehr, mal weniger ausgereizt wurde. Vor allem die grafische Darstellung hat dabei eine rasante Entwicklung durchgemacht und nicht unerheblich zum Erfolg der Branche beigetragen. Der zweite große Schritt wurde durch die Vernetzung über das Internet eingeleitet und heute zeigen sich die größten Wachstumsbereiche bei den mobilen Spielen.
Level eins: Digitale Unterstützung
Statt einer digitalen Vollversion in der das gesamte Spiel über Smartphone oder Tablet abläuft, gibt es zahlreiche Beispiele für gelungene Brettspiele, bei denen ein Spiel lediglich in bestimmten Bereichen auf eine digitale Unterstützung zurückgreift.
Ein digitaler Würfel oder ein Algorithmus, der die nötige Zufallskomponente sprichwörtlich ins Spiel bringt ist hier noch die einfachste Version. Schon einen Schritt weiter ging hingegen die Konsole Yvio, die 2008 von Public Solution auf den Markt gebracht wurde. Dieses kleine Gerät konnte wahlweise Spielregeln vorlesen, Punkte mitzählen oder auch Quizfragen stellen. Als zentrales Steuergerät war es möglich, die Konsole für verschiedene Spiele einzusetzen.
Hierin bestand der größte Unterschied zu ähnlichen digitalen Hilfen wie sie etwa bei „Die Insel“ oder „Wer war’s“ von Ravensburger bereits erprobt wurden. Hier wurde der elektronische Beistand jedoch ausschließlich für das entsprechende Spiel konzipiert. Public Solution musste bereits 2010 Insolvenz anmelden und das Gerät verschwand wieder von der Spielfläche. Möglicherweise waren zu dieser Zeit die Technik und der Markt noch nicht reif genug.
Gelungene Beispiele für eine zusätzliche App
Das Spiel „Escape – The Game“ vom Kosmos Verlag kann mit einer entsprechenden App um eine beeindruckende Hintergrundatmosphäre erweitert werden. Die Klangkulisse ist eine gelungene Erweiterung und trägt zur Spannung beim Lösen der Rätsel bei.
Ebenfalls sinnvoll ist die Möglichkeit, bei dem Quizspiel „Alleswisser“ von Jörg Ronniger selbst Fragen einreichen zu können. Auf diese Weise wird der Pool ständig erweitert und Wiederholungen somit seltener. Das Spiel besteht lediglich aus einem analogen Spielbrett. Auf die Fragenkarten wurde verzichtet, dafür wird die zugehörige App eingesetzt. Diese ermöglicht es auch, den Schwierigkeitsgrad der Fragen an das Alter der Spieler anzupassen.
Das Strategiespiel „Die Alchemisten“ vom Heidelberger Spieleverlag funktioniert sowohl mit als auch ohne App. Wird ohne gespielt, muss einer der Teilnehmer als Spielleiter fungieren und quasi die Aufgaben der App übernehmen. Sie übernimmt die Funktion, die jeweils gebrauten Zaubertränke zu analysieren. Die Auswertungen bestimmen dann den weiteren Verlauf.
Smartphone oder Tablet bleiben bei den drei Beispielen eine digitale Hilfe im Hintergrund. Das Zentrum der Aufmerksamkeit bleibt weiterhin beim realen Spielverlauf und der Interaktion zwischen den einzelnen Mitspielern, ohne das Gruppenerlebnis zu beeinträchtigen. Experten sehen hier deshalb großes Potential für die Zukunft, denn viele wollen auf das reale Spielen mit anderen nicht verzichten.
Die Kür: Das (digitale) Spielbrett 2.0
Verschiedene Online-Plattformen bieten in sehr reeller Grafikumsetzung die Möglichkeit bekannte Brettspiele in der digitalen Variante zu spielen. Das ursprüngliche Spiel wird dabei originalgetreu übernommen und adaptiert. Wer vor dem Bildschirm sitzt hat dann das Gefühl an einem virtuellen Spieltisch zu sitzen. Über den Livestream kann dann online mit anderen zusammen gezockt werden. Was dabei definitiv nicht virtuell erzeugt werden kann ist das dynamische Gruppengefühl, das an einem Spieltisch in der realen Welt entsteht und oft zu der besonderen Atmosphäre beiträgt.
Verschiedene Brettspielklassiker funktionieren auch in der digitalen Version sehr gut. „Carcassonne“ vom Münchner Hans im Glück Verlag beispielsweise war eines der ersten davon, die hier virtuell neu aufgelegt wurden (The Coding Monkeys). Nach einer PC-Version wurden nach und nach auch Varianten für Handheld-Konsolen, zum Spielen im Browser oder für verschiedene Mobilgeräte auf den Markt gebracht.
Der Vorteil der digitalen Version: Es kann mobil mit mehreren Personen gespielt werden, da die Spieler nacheinander an die Reihe kommen, wird das Smartphone oder Tablet einfach weitergereicht. Über die Bluetooth-Funktion ist auch eine Vernetzung mehrerer Geräte möglich. Unterwegs oder auf Reisen ist so kein Aufbau des Spielbretts, der Figuren und des umfangreichen Zubehörs notwendig. Das Unternehmen Asmodee Digital wurde jüngst mit einer Neuauflage beauftragt, die demnächst erhältlich sein soll.
Ähnlich erfolgreich ist die Online-Version von „Die Siedler“. Auch hier zeigt sich, dass die Struktur des Spiels sich besonders gut für eine digitale Umsetzung eignet. Inzwischen auf unzählige Level erweitert, wird es auch nach einigen Abenteuern nicht langweilig. Die Vernetzung mit anderen Spielern sorgt zusätzlich für Spannung und Abwechslung.
Ein Stück vom digitalen Erfolgskuchen
Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) im Rahmen ihrer Markt- und Werbeträger-Analyse (AWA) zeigte sich, dass aktuell das Interesse an Gesellschaftsspielen stark gestiegen ist. Gaben 2016 noch rund 30 Prozent der Befragten an, nie solche Spiele zu spielen, waren es in diesem Jahr nur noch rund 20 Prozent. Wird dies im Kontext des veränderten Medienverhaltens betrachtet, könnte dies auf das Angebot digitaler Versionen zurückgeführt werden.
Zwar zeigt sich, dass die Kunden heute auch im analogen Spielemarkt zunehmend wieder mehr Geld ausgeben, doch die Hersteller der klassischen Brettspiele versuchen, auf diese Weise ebenfalls am dauerhaften Trend der Online-Games teilzuhaben.
Einer der größten Vorteile dabei: Der Vertriebsweg über die App-Stores ist extrem kostengünstig und erreicht auf einfachem Weg ein riesiges Publikum. Zudem fallen aufwändige Produktionskosten für Spielfiguren und weiteres Zubehör weg. Die Entwicklungskosten für die App sind im Gegensatz dazu vergleichsweise überschaubar und fallen eben nur ein einziges Mal an. Je mehr Anhänger das Spiel dann findet, umso höher die Gewinnmarge.
Dabei ist das Lager scheinbar sehr klar geteilt. Einige begrüßen die neuen digitalen Möglichkeiten und freuen sich auf die entsprechende virtuelle Version eines bekannten Brettspiels. Andere hingegen verweigern sich dieser Entwicklung und bevorzugen die herkömmliche analoge Spielweise. Vermutlich werden beide Wege künftig ihre Anhänger haben und die Spieleindustrie ihr Angebot entsprechend gestalten.
Markterfolg abhängig von der Umsetzung
Etwa drei Viertel der Umsätze auf dem App-Markt wird inzwischen durch Spiele erwirtschaftet. Gerade einfache Brettspiele, die einen simplen Aufbau vorweisen und mit wenig Zubehör gespielt werden können sind sehr leicht in eine virtuelle Form zu übersetzen.
Für komplexere Games können die digitalen Möglichkeiten dabei ganz neue Ansätze bieten. Entweder als Erweiterung für analoge Spiele oder als eigenständige digitale Version können dabei ganz neue Spielerlebnisse kreiert werden. Voraussetzung dafür ist, dass die virtuellen Mechanismen sinnvoll und kreativ eingesetzt werden und nicht stur analoge Handlungen ersetzen. Denn in letzterem Fall wird das Gemeinschaftserlebnis, die Haptik realer Spielfiguren oder die Dynamik in der Gruppe einzelner Spieler, die sich tatsächlich gegenübersitzen nicht zu ersetzen sein.
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